Kommunionempfang

Zu einigen Einwänden gegen die kirchliche Lehre über den Kommunionempfang von wiederverheirateten, geschiedenen Gläubigen[1]

Joseph Kardinal Ratzinger

Das Schreiben der Glaubenskongregation über den Kommunionempfang von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen vom 14. September 1994 hat in weiten Teilen der Kirche ein lebhaftes Echo gefunden. Neben vielen positiven Stellungnahmen waren auch nicht wenige kritische Stimmen zu hören. Die wesentlichen Einwände gegen die kirchliche Lehre und Praxis werden im folgenden in vereinfachender Form umrissen.

Einige gewichtigere Einwände – vor allem der Verweis auf die angeblich flexiblere Praxis der Kirchenväter, welche die Praxis der von Rom getrennten Ostkirchen bis heute präge, sowie der Hinweis auf die traditionellen Prinzipien der Epikie und der Aequitas canonica – wurden von der Glaubenskongregation eingehend untersucht. Die Artikel der Professoren Pelland, Marcuzzi und Rodríguez Luño2 sind neben anderem im Zuge dieses Studiums entstanden. Die hauptsächlichen Ergebnisse der Untersuchung, die die Richtung einer Antwort auf die vorgebrachten Einwände anzeigen, sollen hier in Kürze zusammengefaßt werden.



1. Manche meinen, einige Stellen des Neuen Testaments deuteten an, daß das Wort Jesu über die Unauflöslichkeit der Ehe eine flexible Anwendung erlaube und nicht in eine streng rechtliche Kategorie eingeordnet werden dürfe.

Einige Exegeten merken kritisch an, daß das Lehramt im Zusammenhang mit der Unauflöslichkeit der Ehe fast ausschließlich eine Perikope – nämlich Mk 10,11-12 – zitiere und andere Stellen aus dem Matthäus-Evangelium und aus dem 1. Korintherbrief nicht genügend berücksichtige.
Diese Bibelstellen sprächen von einer gewissen Ausnahme vom Herrenwort über die Unauflöslichkeit der Ehe, und zwar im Fall von porneia (Mt 5,32; 19,9) und im Fall der Trennung um des Glaubens wegen (1 Kor 7,12-16).

Solche Texte seien Hinweise, daß die Christen in schwierigen Situationen schon in der apostolischen Zeit eine flexible Anwendung des Wortes Jesu gekannt haben.

Auf diesen Einwand ist zu antworten, daß die lehramtlichen Dokumente die biblischen Grundlagen der Ehelehre nicht umfassend darlegen wollen. Sie überlassen diese wichtige Aufgabe den kompetenten Fachleuten. Das Lehramt betont allerdings, daß sich die kirchliche Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe aus der Treue gegenüber dem Wort Jesu ableitet.
Jesus bezeichnet die alttestamentliche Scheidungspraxis eindeutig als Folge der menschlichen Hartherzigkeit. Er verweist – über das Gesetz hinaus – auf den Anfang der Schöpfung, auf den Schöpferwillen, und faßt seine Lehre mit den Worten zusammen: „Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Mk 10,9).
Mit dem Kommen des Erlösers wird also die Ehe in ihrer schöpfungsgemäßen Urgestalt wieder hergestellt und der menschlichen Willkür entrissen – vor allem der männlichen Willkür, denn für die Frau gab es ja die Möglichkeit der Scheidung nicht.

Jesu Wort von der Unauflöslichkeit der Ehe ist die Überwindung der alten Ordnung des Gesetzes in der neuen Ordnung des Glaubens und der Gnade. Nur so kann die Ehe der gottgegebenen Berufung zur Liebe und der menschlichen Würde voll gerecht und zum Zeichen der unbedingten Bundesliebe Gottes, d.h. zum Sakrament, werden (vgl. Eph 5,32).

Die Trennungsmöglichkeit, die Paulus in 1 Kor 7 eröffnet, betrifft Ehen zwischen einem christlichen und einem nicht getauften Partner. Die spätere theologische Reflexion hat erkannt, daß nur Ehen zwischen zwei Getauften Sakrament im strengen Sinn des Wortes sind und daß nur für diese im Raum des Christusglaubens stehenden Ehen die unbedingte Unauflöslichkeit gilt.
Die sogenannte Naturehe hat ihre Würde von der Schöpfungsordnung her und ist daher auf Unauflöslichkeit angelegt, kann aber unter Umständen eines höheren Gutes – hier des Glaubens – wegen aufgelöst werden. So hat die theologische Systematik den Hinweis des heiligen Paulus rechtlich als Privilegium Paulinum eingeordnet, d.h. als Möglichkeit, eine nicht sakramentale Ehe um des Gutes des Glaubens willen aufzulösen. Die Unauflöslichkeit der wirklich sakramentalen Ehe bleibt gewahrt; es handelt sich also nicht um eine Ausnahme vom Wort des Herrn. Darauf werden wir später zurückkommen.

Bezüglich des rechten Verständnisses der porneia-Klauseln gibt es eine Fülle von Literatur mit vielen unterschiedlichen, ja gegensätzlichen Hypothesen. Unter den Exegeten herrscht in dieser Frage keinerlei Einmütigkeit. Viele nehmen an, daß es sich hier um ungültige eheliche Verbindungen und nicht um Ausnahmen von der Unauflöslichkeit der Ehe handelt. Auf alle Fälle kann die Kirche ihre Lehre und Praxis nicht auf unsichere exegetische Hypothesen aufbauen. Sie hat sich an die eindeutige Lehre Christi zu halten.



2. Andere wenden ein, daß die patristische Tradition Raum lasse für eine differenziertere Praxis, die schwierigen Situationen besser gerecht wird; die katholische Kirche könne zudem vom ostkirchlichen Ökonomie-Prinzip lernen.

Man sagt, daß das gegenwärtige Lehramt sich nur auf einen Strang der patristischen Tradition stützt, aber nicht auf das ganze Erbe der Alten Kirche. Obwohl die Väter eindeutig am doktrinellen Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe festhielten, haben einige von ihnen auf der pastoralen Ebene eine gewisse Flexibilität mit Rücksicht auf schwierige Einzelsituationen toleriert. Auf dieser Grundlage haben die von Rom getrennten Ostkirchen später neben dem Prinzip der akribia, der Treue zur geoffenbarten Wahrheit, jenes der oikonomia, der gütigen Nachsicht in schwierigen Einzelfällen, entwickelt. Ohne die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe aufzugeben, erlauben sie in gewissen Fällen eine Zweit- und auch eine Drittehe, die allerdings von der sakramentalen Erstehe unterschieden und vom Charakter der Buße geprägt ist.

Diese Praxis sei von der katholischen Kirche nie ausdrücklich verurteilt worden. Die Bischofssynode von 1980 habe angeregt, diese Tradition gründlich zu studieren, um die Barmherzigkeit Gottes besser aufleuchten zu lassen.

 

Die Studie von P. Pelland legt die wesentlichen Vätertexte zur Problematik klar und deutlich vor. Für die Interpretation der einzelnen Texte bleibt natürlich der Historiker zuständig. Aufgrund der schwierigen Textlage werden die Kontroversen auch in Zukunft nicht ausbleiben. In theologischer Hinsicht ist festzuhalten:

a) Es gibt einen klaren Konsens der Väter bezüglich der Unauflöslichkeit der Ehe. Weil diese dem Willen des Herrn entspringt, besitzt die Kirche keinerlei Gewalt darüber. Deshalb war die christliche Ehe von Anfang an unterschieden von der Ehe der römischen Zivilisation, auch wenn es in den ersten Jahrhunderten noch keine eigene kanonische Ordnung gab. Die Kirche der Väterzeit schließt Ehescheidung und Wiederheirat eindeutig aus, und zwar aus gläubigem Gehorsam gegenüber dem Neuen Testament.

b) In der Kirche der Väterzeit wurden geschiedene wiederverheiratete Gläubige niemals nach einer Bußzeit offiziell zur heiligen Kommunion zugelassen. Es trifft indes zu, daß die Kirche Zugeständnisse in einzelnen Ländern nicht immer rigoros rückgängig gemacht hat, auch wenn sie als nicht mit Lehre und Disziplin übereinstimmend bezeichnet wurden. Wahr scheint auch, daß einzelne Väter, etwa Leo der Große, für seltene Grenzfälle pastorale Lösungen suchten.

c) In der Folge kam es zu zwei gegensätzlichen Entwicklungen:

- In der Reichskirche nach Konstantin suchte man mit der immer stärkeren Verflechtung von Staat und Kirche eine größere Flexibilität und Kompromißbereitschaft in schwierigen Ehesituationen. Bis zur Gregorianischen Reform zeigte sich auch im gallischen und germanischen Raum eine ähnliche Tendenz. In den von Rom getrennten Ostkirchen setzte sich diese Entwicklung im zweiten Jahrtausend weiter fort und führte zu einer immer liberaleren Praxis. Heute gibt es in manchen orthodoxen Kirchen eine Vielzahl von Scheidungsgründen, ja bereits eine Theologie der Scheidung, die mit den Worten Jesu über die Unauflöslichkeit der Ehe nicht zu vereinbaren ist. Im ökumenischen Dialog muß dieses Problem unbedingt zur Sprache gebracht werden.

- Im Westen wurde durch die Gregorianische Reform die ursprüngliche Auffassung der Väter wieder hergestellt. Diese Entwicklung fand auf dem Konzil von Trient einen gewissen Abschluß und wurde auf dem 2. Vatikanischen Konzil erneut als Lehre der Kirche vorgetragen.

 

Die Praxis der von Rom getrennten Ostkirchen, die Folge eines komplexen historischen Prozesses, einer immer liberaleren – und sich mehr und mehr vom Herrenwort entfernenden – Interpretation einiger dunkler Vätertexte sowie eines nicht geringen Einflusses ziviler Gesetze ist, kann von der katholischen Kirche aus lehrmäßigen Gründen nicht übernommen werden.
Zudem ist die Behauptung unrichtig, daß die katholische Kirche die orientalische Praxis einfach toleriert habe. Gewiß hat Trient keine ausdrückliche Verurteilung ausgesprochen. Die mittelalterlichen Kanonisten sprachen allerdings durchgehend von einer mißbräuchlichen Praxis. Zudem gibt es Zeugnisse, daß Gruppen orthodoxer Gläubiger, die katholisch wurden, ein Glaubensbekenntnis mit einem ausdrücklichen Verweis auf die Unmöglichkeit einer Zweitehe unterzeichnen mußten.



3. Manche schlagen vor, auf der Basis der traditionellen Prinzipien der Epikie und der Aequitas canonica Ausnahmen von der kirchlichen Norm zu gestatten.

Bestimmte Ehefälle, so sagt man, können im Forum externum nicht geregelt werden. Die Kirche dürfe nicht nur auf rechtliche Normen verweisen, sondern müsse auch das Gewissen der einzelnen achten und tolerieren. Die überlieferte Lehre von Epikie und Aequitas canonica könnten moraltheologisch bzw. juridisch eine Entscheidung des Gewissens, die von der allgemeinen Norm abweicht, rechtfertigen. Vor allem in der Frage des Sakramentenempfangs solle die Kirche hier Schritte setzen und den betroffenen Gläubigen nicht nur Verbote vorhalten.

 

Die beiden Beiträge von Prof. Marcuzzi und Prof. Rodríguez Luño werfen Licht auf diese komplexe Problematik. Dabei sind drei Fragenbereiche deutlich voneinander zu unterscheiden:

a) Epikie und Aequitas canonica sind im Bereich menschlicher und rein kirchlicher Normen von großer Bedeutung, können aber nicht im Bereich von Normen angewandt werden, über die die Kirche keine Verfügungsgewalt hat. Die Unauflöslichkeit der Ehe ist eine dieser Normen, die auf den Herrn selbst zurückgehen und daher als Normen göttlichen Rechts bezeichnet werden. Die Kirche kann auch nicht pastorale Praktiken – etwa in der Sakramentenpastoral – gutheißen, die dem eindeutigen Gebot des Herrn widersprechen.

Mit anderen Worten: Wenn die vorausgehende Ehe von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen gültig war, kann ihre neue Verbindung unter keinen Umständen als rechtmäßig betrachtet werden, daher ist ein Sakramentenempfang aus inneren Gründen nicht möglich. Das Gewissen des einzelnen ist ausnahmslos an diese Norm gebunden. [3]

b) Die Kirche hat indes die Vollmacht zu klären, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Ehe als unauflöslich im Sinne Jesu betrachtet werden kann. Auf der Linie der paulinischen Aussagen in 1 Kor 7 legte sie fest, daß nur zwei Christen eine sakramentale Ehe schließen können. Sie entwickelte die Rechtsfiguren des Privilegium Paulinum und des Privilegium Petrinum. Mit Rückgriff auf die porneia-Klauseln bei Matthäus und in Apg 15,20 wurden Ehehindernisse formuliert. Zudem wurden Ehenichtigkeitsgründe immer klarer erkannt und das Prozeßverfahren ausführlicher entwickelt. All dies trug dazu bei, den Begriff der unauflöslichen Ehe einzugrenzen und zu präzisieren.

Man kann sagen, daß auf diese Weise auch in der Westkirche dem Prinzip der oikonomia Raum gegeben wurde, allerdings ohne die Unauflöslichkeit der Ehe als solche anzutasten. Auf dieser Linie liegt auch die rechtliche Weiterentwicklung im Codex Iuris Canonici von 1983, gemäß der auch den Erklärungen der Parteien Beweiskraft zukommt. An sich scheinen damit nach Ansicht kompetenter Fachleute die Fälle praktisch ausgeschlossen, in denen eine ungültige Ehe auf dem prozessualen Weg nicht als solche nachweisbar ist. Weil die Ehe wesentlich öffentlich-kirchlichen Charakter hat und der Grundsatz gilt Nemo iudex in propria causa (Niemand ist Richter in eigener Sache), müssen Eheangelegenheiten im Forum externum gelöst werden.

Wenn wiederverheiratete geschiedene Gläubige meinen, daß ihre frühere Ehe nicht gültig war, sind sie demnach verpflichtet, sich an das zuständige Ehegericht zu wenden, das die Frage objektiv und unter Anwendung aller rechtlich verfügbaren Möglichkeiten zu prüfen hat.

c) Freilich ist nicht ausgeschlossen, daß bei Eheprozessen Fehler unterlaufen. In einigen Teilen der Kirche gibt es noch keine gut funktionierenden Ehegerichte. Manchmal dauern die Prozesse ungebührlich lange. Hin und wieder enden sie mit fragwürdigen Entscheidungen. Hier scheint im Forum internum die Anwendung der Epikie nicht von vorne herein ausgeschlossen.
Im Schreiben der Glaubenskongregation von 1994 ist dies angedeutet, wenn gesagt wird, daß durch die kirchenrechtlichen Neuerungen Abweichungen der gerichtlichen Urteile von der objektiven Wahrheit „so weit wie möglich“ ausgeschlossen werden sollen (vgl. Nr. 9). Manche Theologen sind der Auffassung, daß sich die Gläubigen auch im Forum internum an ihrer Meinung nach falsche gerichtliche Urteile zu halten haben. Andere meinen, daß hier im Forum internum Ausnahmen denkbar sind, weil es in der Prozeßordnung nicht um Normen göttlichen Rechts, sondern um Normen kirchlichen Rechts geht.

Diese Frage bedarf aber weiterer Studien und Klärungen. Freilich müßten die Bedingungen für das Geltendmachen einer Ausnahme sehr genau geklärt werden, um Willkür auszuschließen und den – dem subjektiven Urteil entzogenen – öffentlichen Charakter der Ehe zu schützen.



4. Manche werfen dem aktuellen Lehramt vor, die Lehrentwicklung des Konzils wieder rückgängig zu machen und eine vorkonziliare Eheauffassung zu vertreten.

Einige Theologen behaupten, an der Basis der neueren lehramtlichen Dokumente über Ehefragen stehe eine naturalistische, legalistische Auffassung der Ehe. Das Augenmerk werde dabei auf den Vertrag zwischen den Ehegatten und das ius in corpus gelegt. Das Konzil habe dieses statische Verständnis überwunden und die Ehe in mehr personalistischer Weise als Bund der Liebe und des Lebens beschrieben. So habe es Möglichkeiten eröffnet, schwierige Situationen menschlicher zu lösen.

Auf dieser Linie weiterdenkend, stellen einzelne Forscher die Frage, ob man nicht auch vom Tod der Ehe sprechen könne, wenn das personale Band der Liebe zwischen den Ehegatten nicht mehr existiere. Andere werfen die alte Frage auf, ob der Papst in solchen Fällen nicht die Möglichkeit der Eheauflösung habe.

Wer allerdings die neueren kirchlichen Verlautbarungen aufmerksam liest, wird erkennen, daß sie in den zentralen Aussagen auf Gaudium et spes aufbauen und die darin enthaltene Lehre auf der vom Konzil gezogenen Spur in durchaus personalistischen Zügen weiterentwickeln.
Es ist aber unangemessen, zwischen der personalistischen und der juridischen Sichtweise der Ehe einen Gegensatz aufzurichten. Das Konzil hat nicht mit der traditionellen Eheauffassung gebrochen, sondern sie weiterentfaltet.
Wenn zum Beispiel immer wieder darauf hingewiesen wird, daß das Konzil den streng rechtlichen Begriff des Vertrags durch den weiträumigeren und theologisch tieferen Begriff Bund ersetzt hat, darf dabei nicht vergessen werden, daß auch im Bund das Element des Vertrags enthalten und freilich in eine größere Perspektive gestellt ist. Daß Ehe weit über das bloß Rechtliche in die Tiefe des Menschlichen und ins Geheimnis des Göttlichen hineinreicht, ist zwar immer schon mit dem Wort Sakrament ausgesagt, aber doch oft nicht mit der Deutlichkeit bedacht worden, die das Konzil diesen Aspekten gewidmet hat. Das Recht ist nicht das Ganze, aber ein unverzichtbarer Teil, eine Dimension des Ganzen. Ehe ohne rechtliche Normierung, die sie ins ganze Gefüge von Gesellschaft und Kirche einordnet, gibt es nicht. Wenn die Neuordnung des Rechts nach dem Konzil auch den Bereich der Ehe umgreift, so ist dies nicht Verrat am Konzil, sondern Durchführung seines Auftrags.

Wenn die Kirche die Theorie annehmen würde, daß eine Ehe tot ist, wenn die beiden Gatten sich nicht mehr lieben, dann würde sie damit die Ehescheidung gutheißen und die Unauflöslichkeit der Ehe nur noch verbal, aber nicht mehr faktisch vertreten.

Die Auffassung, der Papst könne eine sakramentale, vollzogene Ehe, die unwiderruflich zerbrochen ist, eventuell auflösen, muß deshalb als irrig bezeichnet werden. Eine solche Ehe kann von niemandem gelöst werden. Die Eheleute versprechen sich bei der Hochzeit die Treue bis zum Tod.

Weiterer gründlicher Studien bedarf allerdings die Frage, ob ungläubige Christen – Getaufte, die nicht oder nicht mehr an Gott glauben – wirklich eine sakramentale Ehe schließen können. Mit anderen Worten: Es ist zu klären, ob wirklich jede Ehe zwischen zwei Getauften ipso facto eine sakramentale Ehe ist. In der Tat weist auch der Kodex darauf hin, daß nur der gültige Ehevertrag zwischen Getauften zugleich Sakrament ist (Vgl. CIC, can. 1055 § 2). Zum Wesen des Sakraments gehört der Glaube; es bleibt die rechtliche Frage zu klären, welche Eindeutigkeit von Unglaube dazu führt, daß ein Sakrament nicht zustande kommt. [4]



5. Viele behaupten, daß die Haltung der Kirche zur Frage der geschiedenen wiederverheirateten Gläubigen einseitig normativ und nicht pastoral ist.

Eine Reihe von kritischen Einwänden gegen die kirchliche Lehre und Praxis betrifft Fragen pastoraler Art.

Man sagt etwa, daß die Sprache der kirchlichen Dokumente zu legalistisch sei, daß die Härte des Gesetzes über dem Verständnis für dramatische menschliche Situationen stehe. Eine solche Sprache könne der Mensch von heute nicht mehr verstehen. Jesus habe ein offenes Ohr für die Nöte aller Menschen gehabt, besonders für jene am Rande der Gesellschaft. Die Kirche hingegen zeige sich eher als Richterin, die verwundete Menschen von den Sakramenten und bestimmten öffentlichen Diensten ausschließt.

Man kann ohne weiteres zugeben, daß die Ausdrucksform des kirchlichen Lehramtes manchmal nicht gerade leicht verständlich erscheint. Diese muß von den Predigern und Katecheten in eine Sprache übersetzt werden, die den Menschen und ihrer jeweiligen kulturellen Umwelt gerecht wird.

Der wesentliche Inhalt der kirchlichen Lehre muß dabei allerdings gewahrt bleiben.
Er darf nicht aus angeblich pastoralen Gründen verwässert werden, weil er die geoffenbarte Wahrheit wiedergibt. Gewiß ist es schwierig, dem säkularisierten Menschen die Forderungen des Evangeliums verständlich zu machen. Aber diese pastorale Schwierigkeit darf nicht zu Kompromissen mit der Wahrheit führen.

Johannes Paul II. hat in der Enzyklika Veritatis splendor sogenannte pastorale Lösungen, die im Gegensatz zu lehramtlichen Erklärungen stehen, eindeutig zurückgewiesen (vgl. ebd. 56).

 

Was die Position des Lehramts zur Frage der wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen anbelangt, muß zudem betont werden, daß die neueren Dokumente der Kirche in sehr ausgewogener Weise die Forderungen der Wahrheit mit jenen der Liebe verbinden.
Wenn früher bei der Darlegung der Wahrheit vielleicht gelegentlich die Liebe zu wenig aufleuchtete, so ist heute die Gefahr groß, im Namen der Liebe die Wahrheit zu verschweigen oder zu kompromittieren. Sicherlich kann das Wort der Wahrheit weh tun und unbequem sein. Aber es ist der Weg zur Heilung, zum Frieden, zur inneren Freiheit. Eine Pastoral, die den betroffenen Menschen wirklich helfen will, muß immer in der Wahrheit gründen. Nur das Wahre kann letzten Endes auch pastoral sein. „Dann werdet ihr die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8,32).





[1] Bei diesem Text handelt es sich um eine deutsche Übersetzung des dritten Teils der Einleitung von Kardinal Joseph Ratzinger zum Band 17 der von der Glaubenskongregation veröffentlichten Reihe „Documenti e Studi“: Sulla pastorale dei divorziati risposati. Documenti, commenti e studi, Città del Vaticano 1998, 20-29. Die Fußnoten wurden hinzugefügt.

[2] Vgl. Angel Rodríguez Luño, L’epicheia nella cura pastorale dei fedeli divorziati risposati, ebd., 75-87; Piero Giorgio Marcuzzi, S.D.B., Applicazione di “aequitas et epikeia” ai contenuti della Lettera della Congregazione per la Dottrina della Fede del 14 settembre 1994, ebd., 88-98; Gilles Pelland, S.J., La pratica della Chiesa antica relativa ai fedeli divorziati risposati, ebd., 99-131.

[3] Dabei gilt, was Johannes Paul II. im Apostolischen Schreiben Familiaris consortio, Nr. 84 bekräftigt hat: „Die Wiederversöhnung im Sakrament der Buße, das den Weg zum Sakrament der Eucharistie öffnet, kann nur denen gewährt werden, welche die Verletzung des Zeichens des Bundes mit Christus und der Treue zu ihm bereut und die aufrichtige Bereitschaft zu einem Leben haben, das nicht mehr im Widerspruch zur Unauflöslichkeit der Ehe steht. Das heißt konkret, daß, wenn die beiden Partner aus ernsthaften Gründen – zum Beispiel wegen der Erziehung der Kinder – der Verpflichtung zur Trennung nicht nachkommen können, sie sich verpflichten, völlig enthaltsam zu leben, das heißt, sich der Akte zu enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind.“ Vgl. auch Benedikt XVI., Apostolisches Schreiben Sacramentum caritatis, Nr. 29.

[4] Bei einer Begegnung mit dem Klerus von Aosta am 25. Juli 2005 sagte Papst Benedikt XVI. zu dieser schwierigen Frage: „Besonders schmerzlich würde ich die Situation derer nennen, die kirchlich verheiratet, aber nicht wirklich gläubig waren und es aus Tradition taten, sich aber dann in einer neuen nichtgültigen Ehe bekehren, zum Glauben finden und sich vom Sakrament ausgeschlossen fühlen. Das ist wirklich ein großes Leid, und als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre lud ich verschiedene Bischofskonferenzen und Spezialisten ein, dieses Problem zu untersuchen: ein ohne Glauben gefeiertes Sakrament. Ich wage nicht zu sagen, ob man hier tatsächlich ein Moment der Ungültigkeit finden kann, weil dem Sakrament eine grundlegende Dimension gefehlt hat. Ich persönlich dachte es, aber aus den Debatten, die wir hatten, verstand ich, daß es ein sehr schwieriges Problem ist und daß es noch vertieft werden muß.“